Öko-Reaktor: Kettenreaktion vor 2 Milliarden Jahren

Vor rund 50 Jahren entdeckten Wissenschaftler in der Region Oklo im westafrikanischen Gabun einen natürlichen Kernreaktor, der über 150.000 Jahre ohne einen einzigen Zwischenfall in Betrieb war. Die Leistung lag bei rund 100 Kilowatt, konnte also kaum mit modernen Standard Reaktoren mithalten.

Was Wissenschaftler heute nur mit großem Aufwand hinbekommen, hat Mutter Natur schon vor zwei Milliarden Jahren ganz ohne technische Hilfe geschafft.

Er arbeitete ganz ohne Elektronik. Ohne Wartung. Ohne Personal und ohne eine einzige technische Panne. So präzise kann eben nur die Natur arbeiten. Vor rund zwei Millionen Jahren fand in der heutigen Region Oklo im westafrikanischen Gabun eine Kettenreaktion statt, die sich von ganz alleine im Drei-Stunden-Rhythmus reguliert hat.

Wie wir aus dem Physikunterricht noch wissen, werden bei der Spaltung von Uranatomen bekanntlich Neutronen freigesetzt, die, falls sie auf benachbarte Urankerne treffen, deren Spaltung auslösen, was zur Folge hat, dass noch mehr Atome freigesetzt werden, die wiederum noch mehr Atome spalten. Eine Kettenreaktion setzt sich in Bewegung.

Wichtig bei diesem Prozess ist das Uran-Isotop Uran-235. Vor rund zwei Milliarden Jahren, im Zeitalter des Proterozoikums, lag der Anteil noch bei circa drei Prozent. Heute beträgt er nur noch 0, 7 Prozent. Die Abnahme erklärt sich aus der kürzeren Halbwertzeit im Vergleich zu Uran 238.

Drei Prozent waren ausreichend, um moderiert durch reines Wasser eine Kettenreaktion zu erzeugen. Der heutige Wert von 0, 7 Prozent würde für diesen Prozess nicht mehr ausreichen.

Der Reaktor Oklo war rund 500.000 Jahre lang aktiv und setzte im Laufe dieser Zeit bei einer thermischen Leistung von bis zu 100 Kilowatt einige hundert Terawattstunden Energie frei.

Die Leistung entspricht etwa der Energiemenge, die ein durchschnittliches Kernkraftwerk in einem Zeitraum von einigen Jahrzehnten erzeugt. Vor 1,5 Millionen Jahren kam die Kettenreaktion zum Erliegen, weil das hierfür benötigte Uran-235 aufgebraucht war.

Entdeckt wurde der Öko-Reaktor 1972 durch Henri Bouzigues in der Urananreicherungsanlage von Eurodif im französischen Pierrelatte. Bouzigues entdeckte eine Anomalie im Isotopenverhältnis im Uranhexafluorid, das aus Oklo-Erz gewonnen wurde.

Hohe Differenz brachte Forscher auf die Spur

Besonders das Uran-235 wies im Vergleich zu anderen Lagerstätten der Welt einen sehr niedrigeren Anteil auf. Statt der üblichen 0,7204 Prozent wurde nur ein Anteil von 0,711 Prozent der normalen Konzentration gemessen.

Da der Anteil von Uran-235 im Natur-Uran auf der Erde, im Mondgestein und auch bei gefundenen Meteoriten exakt bei 0,7204 Prozent liegt, fiel die Differenz natürlich sofort auf.

In weiteren Proben aus dem Tagebau in Oklo wurden sogar noch geringere Uran-235-Anteile gemessen. Die Halbwertzeit von Uran-235 beträgt rund 704 Millionen Jahre. Uran-238 ist dagegen wesentlich langlebiger.

Die mit der Untersuchung beauftragten Wissenschaftler fanden zunächst keine logische Erklärung für die signifikante Abnahme der Uran-235-Anteile. Später dann stießen Forscher auf den Reaktor.

Mittlerweile sind im Becken von Franceville, der drittgrößten Stadt in Gabun, die Überreste von insgesamt 15 Naturreaktoren gefunden worden. 14 davon befinden sich in Oklo. Ein weiterer im 30 Kilometer entfernten Bangombe.

Die Reaktoren von Oklo sind heute zum Teil vollständig oder weitgehend erschöpft. Die Tage- und Untertagebaue sind  geflutet, so dass nur noch der kleinste Reaktor in Bangombe für wissenschaftliche Studien erhalten geblieben ist.

Die Größe der Reaktoren variiert. Der größte ist 12 Meter lang, 18 Meter tief und 20 bis 50 Zentimeter dick. Der kleinste lediglich fünf Meter lang, ein Meter breit und nur wenige Zentimeter dick.

Lange Zeit glaubte man, dass die Kernspaltung nur mit größtem Aufwand an Technik und Elektronik möglich ist. 1938 gelang sie den Chemikern Otto Hahn und Fritz Straßmann erstmals experimentell am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut.  Dass die Natur so etwas ganz von selbst hinbekommt, hielt man kaum für möglich.

Es waren Wissenschaftler von der Washington University in St. Louis, die herausgefunden haben, wie die Natur die Kettenreaktion hinbekommen hat. Alex Meshik schrieb im Fachblatt Physical Review Letters, dass Wasser, das in den Ritzen im Uranerz stand, eine ganz zentrale Rolle bei der Kettenreaktion gespielt hat.

Das Wasser, das in den Spalten in dem Uranerz stand, bremste die Neutronen auf Spaltgeschwindigkeit ab. Die Kettenreaktion setzte ein. Das Gestein wurde immer wärmer, bis das Wasser verdampfte. Als es verschwunden war, fehlte schließlich der Neutronendämpfer, was zum Einschlafen der Kernreaktion führte. Nachdem die Temperatur wieder gesunken war und Wasser nachfliesen konnte, setzte die Kettenreaktion aber wieder ein. 

Das Wasser muss rein sein

Es gilt zu beachten, dass Wasser nicht gleich Wasser ist. Glenn T. Seaborg, Nobelpreisträger und ehemaliger Leiter der US amerikanischen Atomenergiekommission klärt auf, dass die Bedingungen korrekt sein müssen, damit es zu einer Kernreaktion kommen kann.

„Das an einer Kernreaktion beteiligte Wasser muss rein sein. Die kleinste Verunreinigung reicht aus, um den Prozess zum Stillstand zu bringen“, so Seaborg. Das Problem aber ist, dass es auf der ganzen Welt so gut wie kein reines Wasser mehr gibt.

Alex Meshiks Team machte noch eine weitere wichtige Entdeckung. Die Forscher fanden in erstaunlich großer Menge in einem nur wenige Millimeter großen Steinbrocken, der größtenteils aus Lanthan, Cer, Strontium und Kalzium bestand, das Spaltprodukt Xenon.

Xenon ist ein Nebenprodukt der Kernspaltung, das sich bei hohen Temperaturen verflüchtigt. Aus der Tatsache, dass Xenon in dem Stein zu finden war, schlussfolgerten die Wissenschaftler, dass die Temperatur in dem Gestein periodisch gesunken sein muss, damit das Gas in Mineralkörner eingeschlossen werden konnte.

Anhand einer genauen Analyse des Xenons stellten die Forscher fest, dass der Reaktor wie ein Geysir funktioniert haben muss. Rund 30 Minuten lang wurden Uranatome gespaltet. Dann, eine halbe Stunde Pause, um mit den Kettenreaktionen wieder von neuem zu beginnen. Dieser Prozess wiederholte sich über einen Zeitraum von mehreren hunderttausend Jahren.

Meshik zeigte sich begeistert von dem Erfindungsreichtum der Natur und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass das Natursystem nicht nur stabil arbeitet, sondern auch den Abfall sicher aufbewahrt. Meshik:
„Die Natur ist viel schlauer als wir. Wir haben alle möglichen Probleme mit unseren hochmodernen Kraftwerken. Dieser Reaktor arbeitet unabhängig und ohne Elektronik. Man sollte sich diese Technik abschauen, um radioaktive Gase im Reaktor aufzufangen.“

Somit liefern Naturreaktoren für die Wissenschaft interessante Erkenntnisse, vor allem, wie man Atommüll für lange Zeit einkapseln und entsorgen kann.

Immerhin hat der Öko-Reaktor über einen langen Zeitraum eine große menge Uran gespalten Die Natur hat es auf geradezu geschickte Weise geschafft, das radioaktive Erbe von der Umwelt isoliert zu entsorgen. Das Fazit lautet also: Wir können noch viel lernen von Mutter Natur.

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