Am Wochenende gab es ein leichtes Erdbeben in Thüringen. Das Erstaunliche auf den ersten Blick ist, dass es überhaupt jemand mitbekommen hat.
Titelbild: Die seismisch besonders gefährdeten Regionen in Deutschland werden in der DIN 4149 in vier Erdbebenzonen (0 = keine Gefährdung bis 3 = starke Gefährdung) unterteilt
Denn das Erdbeben hatte zwar, anders als anfangs mitgeteilt, sogar eine Stärke von 2,0, doch das bemerken wir normalerweise gar nicht. Aber das Beben in Thüringen war kein tektonisches, und deswegen haben die Tassen im Schrank geklirrt (Erklärung folgt weiter unten).
Denn ansonsten würden wir ständig darüber berichten, dass irgendwo Schränke wackeln. Allein seit dem Januar 2021 bis heute (28. Februar 2023) wurden in Mitteldeutschland 90 Erdbeben mit einer Stärke zwischen 1,4 und 2,0 aufgezeichnet.
Diese Daten können Sie im Seismologieportal für Mitteldeutschland selbst abfragen. Dann sehen Sie auch, dass das stärkste Erdbeben der vergangenen Jahre am 31. Mai 2014 mit Epizentrum in Novy Kostel, direkt an der deutsch-tschechischen Grenze bei Bad Brambach gemessen wurde, Amplitude 4,2. Dort bebt die Erde regelmäßig.
Das letzte Beben mit dieser Magnitude direkt in Mitteldeutschland ereignete sich am 16. April im Großraum Leipzig, gemessenes Epizentrum war Gröbers im Saalekreis.
Wie gefährdet ist Mitteldeutschland?
Mitteldeutschland ist in gewisser Weise doppelt gefährdet. Und das zeigt auch das Beben vom vergangenen Wochenende. Denn dabei handelt es sich um ein sogenanntes induziertes Erdbeben. Es hatte also keine natürliche Ursache. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Gebirgsschlag von Teutschenthal 1996.
Im Ostfeld der alten Kaligrube ereignete sich am 11. September 1996 ein Gebirgsschlag, der zum Einsturz großer Teile der Grube führte. Dass gemessene Beben hatte eine Stärke von 4,9 und war selbst östlich von Halle noch zu spüren. Im nahen Umfeld gab es größere Schäden an Gebäuden und sichtbare Risse im Untergrund.
Dass solche vom Bergbau induzierten Beben auch bei kleinen Magnituden zu spüren sind, überrascht nicht, so der Leiter der Erdbebenüberwachung der Universität Leipzig, Sigward Funke. Denn die Magnitude „beschreibt die Größenordnung der Energie, die am Erdbebenherd freigesetzt wird“, so der Geophysiker.
„Die Spürbarkeit an der Erdoberfläche hängt neben der Magnitude noch ganz erheblich vom Abstand zum Herd ab, weil die Energie auf dem Laufweg vom Herd zum Beobachtungspunkt stetig abnimmt.“ Und da gibt es eben einen klaren Unterschied zwischen induziert und tektonisch. Die Beben, die vom Bergbau ausgehen, geschehen in Tiefen von meist nicht mehr als einem Kilometer. „Natürliche Beben dagegen kommen kaum näher als 4 bis 6 km von unten an die Erdoberfläche heran.“
Geophysiker können diese Erdbebenarten auch gut auseinanderhalten. „Zentrale Kriterien der Unterscheidung zwischen einem tektonischen einem induzierten Ereignis sind der Frequenzgehalt der Erdbebenwellen und die Herdtiefe“, so Sigward Funke. Ein ähnlich schweres induziertes Beben hält er für unwahrscheinlich, „weil der Bergbau nicht mehr in diesem Umfang umgeht und weil die Bergleute und alle anderen Beteiligten ihre Lehren aus dem Bergschlag gezogen haben“.
Schwarmbeben im Vogtland können Monate anhalten
Tektonisch gehören Ostthüringen und Westsachsen mit dem Vogtländischen Schwarmbebengebiet zusammen mit dem Oberrheingraben, der Niederrheinischen Bucht und der schwäbischen Alb zu den seismisch aktivsten Regionen bundesweit. Im Vogtland werden immer wieder sogenannte Schwarmbeben registriert.
„Bei Schwarmerdbeben ist das Besondere, dass das stärkste Beben nicht am Anfang einer Sequenz liegt“, so der Geophysiker Ulrich Wegler, Professor am Institut für Geowissenschaften der Uni Jena gegenüber MDR WISSEN. „Das heißt: In vielen Fällen fängt es mit leichten Beben an und steigert sich dann erst. So dass es schwer ist, vorherzusagen, was das stärkste Beben ist.“ Solche Beben können sich auch über Monate hinziehen.
„Bei Schwarmerdbeben ist das Besondere, dass das stärkste Beben nicht am Anfang einer Sequenz liegt.“ Prof. Ulrich Wegler, Geophysiker Uni Jena
Auch im Großraum Halle-Leipzig kann es Beben geben
Aber selbst im Großraum Halle-Leipzig sind schwere Erdbeben möglich. Gemessen wurden neben dem bereits oben erwähnten Beben von 2015 eine weiteres am 29. April 2017. Damals wurde das Beben der Stärke 3 mit einem Epizentrum nördlich von Markranstädt registriert. Beide Beben hatten ihren Ursprung in großer Tiefe, in einem Bereich zwischen 22 und 29 Kilometern. Ungewöhnlich und alarmierend, so Sigward Funke von der Universität Leipzig, der darüber bereits 2018 eine wissenschaftliche Studie veröffentlichte.
„Erdbeben in dieser Tiefe geben Hinweise auf größere Verwerfungen und machen die Möglichkeit von stärkeren Erdbeben wahrscheinlicher.“ Sigward Funke, Erdbebenüberwachung, Universität Leipzig
Funke sah auch aus diesem Grund Handlungsbedarf. Das Netz der Messstationen war zu großmaschig, gerade im Großraum Halle-Leipzig. Mittlerweile habe sich das gebessert, so Funke gegenüber MDR WISSEN, auch was das nötige Personal zur Datenauswertung angeht. „Über die Personalsituation gibt es Verhandlungen, auch da sind Verbesserungen in Sicht.“ Im „Seismologie-Verbund zur Erdbebenbeobachtung in Mitteldeutschland“ werden Daten aus 36 Stationen ausgewertet.
Im Thüringer Seismologischen Netz sind es mit 20 Stationen mit großem Abstand die meisten, im Sachsennetz sind es neun und in Sachsen-Anhalt drei Stationen. Außerdem befinden sich vier Stationen des deutschen Regionalnetzes in Mitteldeutschland.
Wie wird die Gefährdung ermittelt?
Unter dem Vogtland brodelt es
Beben in großer Tiefe könnten irgendwann auch im Vogtland zur Gefahr werden. Vulkan- und Erdbebenforscher des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) sind dort seit langem einem Phänomen auf der Spur. Denn ganz tief im Boden gibt es dort magmatische Prozesse. Die aufsteigenden Gase könne man schon jetzt messen. In diesem Fall ist die Gefahr allerdings nicht akut.
„Wenn wir über diese Prozesse sprechen, dann haben wir sehr große Zeiträume im Hinterkopf“, so GFZ-Vulkanologe Torsten Dahm. Damit meint er 50.000 oder 100.000 Jahre. Denn noch gebe es keine Hinweise, dass Magmen, die in die mittlere Erdkruste aufdringen, auch tatsächlich weiter nach oben steigen können.
Interessant.
Dass unsere Böden hier vulkanisch sind, dass war mir bewusst. Das Gebiet ist für den Porphyrabbau bekannt.
Dass es nennenswerte Erdbeben geben kann, ist wohl eine naheliegende Schlussfolgerung.
Einen sicheren Ort wird es eh nicht wirklich geben, wenn die Erde sich mal strecken will.