Seltsamer als die Wissenschaft: Das „Verschwinden“ eines Inuit-Dorfs

Im November 1930 berichtete der kanadische Journalist Emmet E. Kelleher über ein kleines Eskimo-Lager am Angikuni-Lake in der kanadischen Provinz Nunavut, 320 Kilometer westlich der Hudson Bay gelegen, dessen Bewohnern allesamt spurlos verschwanden.

Der Ort war von einer gespenstischen Stille erfüllt, schrieb Kelleher in seinem Artikel. Kinderspielzeug lag auf den Boden verstreut, über eine Feuerstelle hingen verkohlte Fische. 1959 veröffentlichte der bekannte US amerikanische Journalist und Schriftsteller Frank Edwards den Vorfall in seinem Buch Stranger than Science.

Die Inuits sind Eskimos, eine indigene Volksgruppe, die im arktischen Zentral- und Nordostkanada sowie auf Grönland beheimatet ist. Bevor die Inuits in den 1960er Jahren sesshaft wurden, waren sie ein Nomadenvolk. Heute leben sie im Süden Kanadas vorwiegend in Siedlungshäusern. Ihren Lebensunterhalt erwirtschaften die Inuits überwiegend aus der Jagd, dem Fischfang und der Handwerkskunst.

Was ist jenem Novembertag im Jahr 1930 geschah, beschreibt Kelleher so: Ein Trapper, ein gewisser Joe Labelle, macht sich in einer eisigen Novembernacht während eines heftigen Schneesturms auf den Weg in ein Eskimodorf, um ein paar Freunde zu treffen, mit denen er Handelsbeziehungen pflegt.

Als Labelle in den früheren Morgenstunden das Dorf erreicht hat, stellt er zu seinem Erstaunen fest, dass es extrem ruhig ist, was ungewöhnlich ist, weil sich zu dieser Zeit für gewöhnlich die Männer auf die Jagd vorbereiten und die Kinder vor den Zelten spielen.

Als sich auf Labelles lautem Rufen niemand meldet, beschließt der Trapper in den Zelten nach dem Rechten zu sehen – doch von den insgesamt 25 Frauen, Männern und Kindern ist kein einziger Bewohner mehr anwesend.

Sie waren fort – so, als hatten sie sich in Luft aufgelöst. Umgehend alarmiert Labelle die für die Region zuständige North-West Mounted Police. Den Beamten fällt sofort auf, dass die Dorfbewohner ihre Zeltstätte offenbar in Panik verließen.

Alles ist noch an seinem Platz. Auf dem Tisch liegen Handwerksarbeiten, über einer Feuerstelle hängen verkohlte Fische – doch das Schockierendste sind die sieben Husky Schlittenhunde, die völlig ausgehungert und erfroren an einem Baum geleint wurden.

Den Beamten ist klar, dass hier etwas Schreckliches geschehen sein muss, was die Eskimos dazu getrieben hat, in Windeseile ihr Lager zu verlassen, ohne sich um ihr Hab und Gut zu kümmern. Ein noch viel größeres Rätsel aber sind die geöffneten Gräber auf dem abseits des Dorfes gelegenen Friedhofs, denen sämtliche Leichname entnommen wurden.

Ein blaues Licht am Nachthimmel

Sofort wird ein Suchtrupp zusammengestellt, der zu Fuß und aus der Luft die Region nach den verschwundenen Eskimos abgesucht  – doch ohne Erfolg.

Eine weitere Gruppe Eskimos, die zur selben Zeit auf der anderen Seite des Sees siedelte, hat berichtet, dass sie in der besagten Nacht ein mysteriöses blaues Licht am Himmel sahen – doch offensichtlich schenken die Behörden dieser Geschichte keine sonderliche Aufmerksamkeit. Als nach ein paar Monaten noch immer keine Hinweise  zu den verschwunden Eskimos gab, wird die Akte mit dem Vermerk „ungelöst“ geschlossen.

Der bekannte US amerikanische Journalist und Schriftsteller Frank Edwards veröffentlichte den Vorfall in seinem 1959 erschienen Buch Stranger than Science, das eine Sammlung von 73 mystischen Geschichten enthält, für die die moderne Wissenschaft keine Erklärung finden konnte.

Auch der US Schriftsteller Whitley Strieber verarbeitete die Spukgeschichte in seinem Science Fiction Roman Majestic, ebenso Dean Koontz, einer der erfolgreichsten Schriftsteller der USA auf dem Gebiet der fantastischen Literatur, in seinem 1983 veröffentlichten Werk Phantoms.

In Koontz Roman sind es amonoide Gestaltwandler in Form genetisch veränderter Bakterien,  die nahezu die gesamte Bevölkerung einer Kleinstadt vertreiben und die, die bleiben, deren Körper sind plötzlich auf geradezu bizarre Weise entstellt.

Nachdem der Angikuni-Vorfall als Vorlage für gleich zwei Science Fiction Romane gedient hat, bleibt am Ende die Frage, wie viel Wahrheit in Kellehers Bericht steckt und ob nicht schon Kelleher selbst die Geschichte frei erfunden hat, weil er Spukgeschichte einfach geliebt hat, was durchaus ein offenes Geheimnis war. Ein klassischer Fall von Relotius oder Fake News würde man heute sagen.

Mysteriöser als die Phantasie

Vielfach wurde sogar die Vermutung geäußert, dass Frank Edwards der Urheber der Geschichte ist, doch jenen besagten Zeitungsartikel gibt es wirklich, wie ein Foto der Titelseite beweist.

Kellehers Headline in der Tageszeitung The Danville Register & Bee vom 27. November 1930 lautete: „Vanished Eskimo Tribe Gives North Mystery Stranger Than Fiction“. Übersetzt heißt das: „Verschwundener Eskimo-Stamm im Nord – mysteriöser als die Phantasie“.

Sollte die Frage in diesem Zusammenhang nicht besser lauten, ob die ganze Geschichte möglicherweise von A bis Z frei erfunden ist? Vor allem die zahlreichen Ungereimtheiten sollten aufhorchen lassen. Das fängt schon mit der Zahl der Dorfbewohner an.

Mal ist die Rede von 2000 Bewohnern, dann wieder waren es nur 25 Frauen, Männer und Kinder, die in einem Zeltlager lebten, was ja auch die Fotos in dem Artikel zeigen.

Selbst wenn nur ein Prozent der Geschichte der Wahrheit entsprechen sollte, dass die Gruppe die Region verlassen hat, heißt das nicht automatisch, dass hier ein Verbrechen vorliegt, oder dass Bewohner von Aliens entführt wurden.

Immerhin haben wir es hier mit Nomaden zutun. Nomaden sind bekannt für ihr unstetes Leben, was in der Regel wirtschaftliche Gründe hat, weil sie nur so ihren Lebensunterhalt sichern können.

Traditionelle Nomaden waren in der Vergangenheit, und sind es in vielen Ländern noch heute, Jäger, Sammler oder Kunsthandwerker in meistens trockenen Wüsten oder kalten Tundren.

Vor allem das Internet hat zu dem Vorfall so allerlei skurrile Erklärungsversuche und Theorien zutage gebracht, was schließlich zu dem Ergebnis geführt hat, dass Skeptiker, Historiker und andere Experten den Fall noch einmal aufgerollt haben.

Recherchen haben schließlich ergeben, dass bei der North-West Mounted Police (NWMP) ein solcher Fall nicht bekannt ist und dass es auch keine großangelegte Suchaktion in der Region gab, wie von Kelleher behauptet.

Im Januar 1931 legte Sergeant J Nelson von der NWMP nach zahlreichen Anfragen von Journalisten einen internen Bericht vor, der schließlich auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Nelson schrieb in seinem Bericht, dass er keinerlei Beweise  für die Geschichte finden konnte und dass eines der veröffentlichten Fotos in Wahrheit aus dem Jahr 1909 stammt – offensichtlich diente es nur der allgemeinen Bebilderung, wie es auch heute oft bei Fake-Geschichten geschieht.

Fake News bei news-for-friends.com

Heute wird der Vorfall bei der Royal Canadian Mounted Police (Nachfolger der NWMP) als urbane Legende geführt, mit dem Hinweis, dass es keine Aufzeichnungen über ungewöhnliche Aktivitäten in der Region zu der besagten Zeit gibt.

Auch Historiker und Experten kamen zu dem Ergebnis, dass es sich hier offenbar nur um eine frei erfundene Geschichte von Emmet E. Kelleher handelt, was ein Beweis dafür ist, dass Fake News keinesfalls ein Phänomen der Neuzeit sind.

1 Kommentar

  1. Es ist in den Jahrhunderten doch so einiges verschwunden, manches tauchte Jahrzehnte später mal wieder auf, bevor es wieder weg war. Andere Personen verschwanden ZAHLREICH für immer, dazu zählen auch grosse Schiffe, Flugzeuge, ganze Armeeeinheiten usw !

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