Überlebende eines freien Falls aus 5.000 Metern

Vor vierzig Jahren stießen im russischen Fernen Osten ein Militär- und ein Zivilflugzeug in der Luft zusammen. Ein 20-jähriges Mädchen überlebte als Einzige den Absturz. Sie fiel fünf Kilometer zu Boden und überlebte in der Taiga.

Vor vierzig Jahren wurde die Ruhe am Himmel des Fernen Ostens in der Nähe der Stadt Zavitinsk (800 Kilometer nordwestlich von Wladiwostok) durch einen Zusammenstoß zweier Flugzeuge gestört.

Es geschah am 24. August 1981 – ein strategischer Bomber kollidierte mit einem Passagierflugzeug des Typs An-24RV, das auf dem Weg von Komsomolsk am Amur nach Blagoweschtschensk war. Das Militärflugzeug war zu Aufklärungszwecken und zur Wetterbeobachtung unterwegs. 

Der Zusammenstoß war eine Folge der Verkettung unglücklicher Umstände. Die Tu-16K war eines von mehreren Militärflugzeugen, die an diesem Tag über dieses Gebiet fliegen mussten. Ihre Piloten waren schlecht über andere Flugzeuge auf ihrer Route informiert. Deshalb teilten sie den Fluglotsen mit, dass sie die nächste Flughöhe bereits erreicht hätten. Tatsächlich war das aber noch nicht der Fall.

Die Befehlshaber der Militärflüge benutzten damals keine Funkdetektoren – sonst hätten sie die An-24RV geortet. Außerdem stimmten die zivilen und militärischen Kräfte sich nicht ab.

Um 15:21 Uhr kollidierten die Flugzeuge in einer Höhe von 5.200 Metern. Die An-24 verlor ihren oberen Teil und die Tragflächen und durchtrennte den Rumpf der Tu-16K mit ihrem Propeller. Die Flugzeuge brachen auseinander und stürzten in die Taiga.

Siebenunddreißig Menschen starben: die sechs Mitglieder der militärischen Besatzung, fünf Mitglieder der Besatzung der An-24RV und 26 Passagiere. Doch es waren 27 Passagiere an Bord: Larisa Savitskaya, eine 20-jährige Lehramtsstudentin, hatte die Katastrophe wie durch ein Wunder überlebt.

Larisa Sawitskaja war auf dem Rückweg von einer Hochzeitreise mit ihrem Mann Vladimir aus Komsomolsk am Amur. Blagoweschtschensk war die Stadt, in der das Studentenpaar lebte und studierte. Das Flugzeug war halb leer, und die Stewardess bot dem Paar Plätze im vorderen Teil des Flugzeugs an, aber sie entschieden sich, in den hinteren Teil des Flugzeugs zu gehen, um weniger Turbulenzen zu spüren.

Dies war eine der Entscheidungen, die Larisa das Leben retteten: „Als das Flugzeug auseinanderbrach, brachen die Sitze, auf denen wir zuerst saßen, ab und flogen mit einem anderen Flugzeugteil davon, niemand hätte dort überlebt“, erinnerte sie sich später.

Sie wachte durch einen heftigen Stoß auf. Die Temperatur von 25 Grad in der Kabine war auf -30 Grad Außentemperatur gesunken, als das Dach des Flugzeugs abgerissen wurde. Larisa spürte es wie eine Verbrennung. Sie hörte Schreie und pfeifende Luft um sie herum. Vladimir war im Moment des Aufpralls sofort tot, und für Larisa schien es, als sei auch ihr Leben zu Ende.

Irgendwann wurde sie auf den Gang geschleudert. Dort erinnerte sie sich plötzlich an den italienischen Film „Wunder geschehen“, den sie etwa ein Jahr zuvor mit Wladimir im Kino gesehen hatte.

Er erzählt die Geschichte von Julianne Koepcke, die einen Flugzeugabsturz im peruanischen Wald überlebte. Larisa beschrieb ihre Lage: „Ich hatte nur einen Gedanken – wie kann ich sterben, ohne Schmerzen zu erleiden. Ich hielt mich an den Armlehnen fest und versuchte, meine Arme und Beine mit aller Kraft vom Boden und dem Sitz zu lösen.“

 

Julianne hatte im Film das Gleiche getan. Der Überrest des An-24RV-Hecks mit Larisas Stuhl flog weiter. Sie erinnerte sich, dass sie nicht sehen konnte, was vor sich ging: „Ich nahm nur Wolken wahr, die dann im dichten Nebel verschwanden. Das Heulen des Windes war ohrenbetäubend. Das Flugzeug ging nicht in Flammen auf. Plötzlich gab es eine ‚grüne‘ Explosion im Sichtfenster. Die Taiga! Ich spannte mich an und nahm mich zusammen.“ Dann hatte Larisa noch einmal Glück – nach acht Minuten freiem Fall landete ihr Flugzeugfragment auf einigen Birken. Das federte den Aufprall ab. 

Das erste, was Larisa hörte, als sie wieder zu sich kam, war das Summen der Waldmücken um sie herum. Der Schock ließ sie nicht begreifen, welche Verletzungen sie tatsächlich hatte: Verletzungen an der Wirbelsäule (zum Glück konnte sie sich noch bewegen), gebrochene Rippen, Arm und Bein gebrochen, eine Gehirnerschütterung und ausgeschlagene Zähne. Sie verspürte einen dumpfen, allgemeinen Schmerz in ihrem ganzen Körper. 

Trotz all ihrer Verletzungen konnte Larisa laufen. Am Abend begann es zu regnen, und sie suchte Schutz unter einem Trümmerteil. Ihr war furchtbar kalt und sie benutzte Sitzbezüge, um sich warm zu halten. In der ersten Nacht hörte sie irgendwo im Wald ein Knurren. Es hätte ein Bär sein können, aber Larisa war noch zu geschockt, um daran zu denken.

Sie überlebte zwei Tage und trank Wasser aus nahegelegenen Pfützen. Da sie die meisten ihrer Zähne verloren hatte, konnte sie nicht einmal Beeren essen. Sie erinnerte sich: „Ich hörte Hubschrauber und machte auf mich aufmerksam. Ich fand einen roten Sitzbezug und fing an, ihn zu schwenken. Sie sahen mich zwar, dachten aber, ich gehöre zu einem geologischen Camp in der Nähe.“ 

Der Suchtrupp entdeckte Laris schließlich. Sie saß dort und rauchte. Sie hatte Zigaretten und Streichhölzer im Wrack gefunden. „Als die Retter mich entdeckten waren sie stumm vor Erstaunen. Verständlich.

Drei Tage lang haben sie Leichenteile von den Bäumen geholt, und dann sahen sie plötzlich einen lebenden Menschen“, erinnert sie sich. Niemand hatte geglaubt, dass jemand einen solchen Absturz überleben könnte (das ist auch der Grund, warum Larisa erst so spät gefunden wurde). Als die Retter kamen, konnte Larisa nicht mehr laufen. Sie erklärte: „Als ich die Menschen sah, verließen mich meine Kräfte.“ Die Retter mussten einige Birken fällen, damit ein Hubschrauber landen konnte.

Larisas Behandlung war sehr schwierig, aber ihr Körper konnte sich von den schrecklichen Verletzungen erholen. Aufgrund der Summe ihrer Verletzungen sollte sie als behindert eingestuft werden, aber die Kommission entschied, dass die Verletzungen hierfür nicht schwer genug waren.

Larisa erhielt daher eine sehr geringe Entschädigung – nur 75 Rubel (ca. 117 US-Dollar nach dem Wechselkurs von 1980), während ein durchschnittlicher Monatslohn in der UdSSR etwa 178 Rubel (ca. 278 US-Dollar) betrug. Larisa Sawizkaja hält einen traurigen Guinness-Weltrekord als die Person, die nach einem Flugzeugabsturz die geringste Entschädigung erhielt.

Der Flugzeugabsturz wurde zur Verschlusssache. Nach den offiziellen Untersuchungsergebnissen gaben die Behörden den Piloten und den Fluglotsen die Schuld an dem Zusammenstoß. Larisa Savitskaya erfuhr davon erst in den 1990er Jahren. 

Später zog Larisa von Blagoweschtschensk nach Moskau. In der Hauptstadt begann sie, sich für Psychophysiologie zu interessieren. Auch 40 Jahre nach dem Absturz plagen sie manchmal die Erinnerungen an dieses schreckliche Ereignis. Dennoch hat sie keine Angst vorm Fliegen, denn sie ist überzeugt: „Raketen schlagen auch nicht zweimal am selben Ort ein.“  

1 Kommentar

  1. Der Spruch vom „Glück im Unglück“ wurde selten so deprimierend zur Realität. Was für ein bizarres „Karma“? Aber – keine Angst vorm Fliegen, Hut ab! Ich an ihrer Stelle würde (außer für immer und ewig auf dem Boden zu bleiben), wenigstens einmal Lotto spielen, denn: Raketen schlagen vielleicht nicht zwei Mal am selben Ort ein (was für ein Vergleich!), doch meine ich mich zu erinnern, vor Jahren einmal im Guiness-Buch der Rekorde eine Geschichte von einem Menschen gelesen zu haben, der mindestens zwei oder drei Mal einen Flugzeugabsturz überlebt haben soll und es gibt auch ein paar Geschichten von Leuten, die bei verschiedenen Gelegenheiten, also mehrfach, vom Blitz getroffen wurden, und überlebten. Andere haben gleich mehrfach im Lotto richtig dick gewonnen (und alles wieder verprasst)!

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