Geheimnisvolle, riesige, prähistorische Gangsysteme – muss die Geschichte neu geschrieben werden? (Video)

Heinrich und Ingrid Kusch sind Archäospeleologen (das sind Archäologen, die sich auf das Erforschen von Höhlen und den Spuren frühzeitlichen, menschlichen Lebens darin spezialisieren). Dr. Heinrich Kusch, Prähistoriker und Lehrbeauftragter an der Karl-Franzens-Universität in Graz.

Durch einen Zufall kamen die beiden zu DEM Forschungsprojekt ihres Lebens: Bei Umbauarbeiten wird im Dachstuhl eines Bauernhofs eine Jahrhundertalte Kanonenkugel gefunden.

Darin entdeckt man einen Plan, der auf ein Labyrinth von unterirdischen Gängen verweist – das ist nicht der Beginn eines Thrillers, sondern hat sich in der oststeirischen Gemeinde Vorau wirklich zugetragen.

Und es war der Ausgangspunkt von einer Reihe schier unglaublicher Entdeckungen. Die Höhlenforscher Ingrid und Heinrich Kusch machten sich an die Erforschung des viele Kilometer langen und offenbar in größere Tiefe führenden Gangsystems und stießen dabei immer wieder auf Einzelheiten, für die es keine Erklärung gibt.

So sind die meisten dieser Gänge nach einer gewissen Strecke nicht nur zugemauert, sondern meterdick mit tonnenschwerem Gestein verschlossen.

Ein weiteres Rätsel der unterirdischen Gangsysteme besteht darin, daß viele Zugänge in einer unbekannten, vermutlich im Mittelalter liegenden Zeitepoche absichtlich und mit gewaltigem Arbeitsaufwand verschlossen wurden. Dabei mauerte man die Einstiege nicht einfach nur zu, sondern verschloß die Gänge teilweise mit vielen Tonnen Gestein und Erde.

Wollte man das Wissen um eine unbekannte vorchristliche Kultur ein für allemal aus dem Bewußtsein der Menschen löschen?

Oder fürchtete man sich gar vor etwas aus den Tiefen der Erde? Irgend etwas muß damals passiert sein, denn sonst hätte man sich diese Arbeit wohl kaum gemacht.

Daß dieses Gangsystem unglaublich alt sein muß, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß an den Eingängen zur Oberwelt der Fels, in den die Gänge gefräst worden sind im Laufe der vielen Jahrzehntausende so verwittert waren, daß sie ausgebessert werden mußten.

Und hier bleibt einem der Atem weg: Diese Ausbesserungen sind eindeutig steinzeitlich. Das belegt die Bauweise und der Verwitterungsgrad der großen Steine, mit denen die Menschen die Eingänge in die Unterwelt renovierten. Die Gänge selber sind mit einer Präzision aus dem gewachsenen Bergfelsen herausgefräst worden, die gerade erst heute wieder mit modernsten Maschinen möglich ist.

Die Wände sind perfekt – und sind von Tunnelbauingenieuren als hochmoderne Glanzleistung eingestuft worden … und sind doch älter als die Steinzeit. Durch ein ausgeklügeltes Belüftungssystem ist die Luft darin immer frisch.

Wer hat sie geschaffe? Und zu welchem Zweck? Warum finden sich keinerlei Zeichnungen? Keine Rußspuren von Fackeln oder Feuern? Keine Rückstände einer alten Zivilisation?

Unter dem alten Kloster Vorau fanden die beiden Archäospeleologen (Altertums-Höhlenforscher) mit einem Bodenradar ein riesige, über mehrere Etagen in den Boden reichendes Gangnetz aus ältester Zeit.

Hier muß eine Art „Zentrale“ gewesen sein. Die Forschungen gehen weiter, sind aber aufgrund der Tiefe, Weitläufigkeit und wegen der zugeschütteten Zugänge langwierig und kostspielig.

Sehr viele Gänge dieses riesigen Systems sind zugeschüttet, verbarrikadiert oder zerstört worden. Wer hatte beim Zuschütten der Gänge in die Unterwelt Angst vor einer Gefahr aus der Tiefe? In welcher unbekannten Bearbeitungstechnik wurden Teile der Gänge, die tiefer liegen als die mittelalterlichen Bereiche, so präzise oft durch blanken Fels geschnitten?

Und warum sind diese Gänge so niedrig und schmal? Eine mögliche Antwort: Die Gänge gehen auf prähistorische Zeiten zurück, und es besteht ein Zusammenhang mit anderen ungeklärten Rätseln der Vorzeit: den Erdställen, die von Frankreich bis Tschechien zu finden sind, oder den Tausenden Menhiren, die in der Steiermark Verlauf und Zugänge des unterirdischen Gangsystems zu markieren scheinen.

Mysteriöse Gänge aus uralter Zeit im Fokus

Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich bei Erdställen nicht um unterirdische Ställe, sondern um Hohlräume aus längst vergangener Zeit.

Im Schnitt sind sie 1,20 bis 1,60 Meter hoch, 50 bis 60 Zentimeter breit, zwischen zehn und 100 Meter, einige wenige sogar bis zu einem Kilometer, lang. Manche Stellen („Schlupfe“) können nur kriechend erreicht werden – als Viehställe haben sie wohl kaum gedient.

„Es ist ein Erlebnis, wenn man in so etwas drinnen ist. Man kann sich nicht vorstellen, wofür das gut sein soll“, sagt Höhlenarchäologin Ingrid Kusch. Wofür diese künstlich vom Menschen aus dem anstehenden Gestein, Löß oder verfestigtem Erdreich geschlagenen Anlagen, von denen es in Österreich – vor allem in NÖ, OÖ, Teilen der Steiermark und dem Burgenland – und in Europa Tausende gibt, tatsächlich einmal gut waren, weiß man schlicht und ergreifend selbst nach jahrzehntelanger internationaler Forschung nicht. Als Lagerstätten sind sie kaum geeignet, als Verstecke ebenfalls nicht, da es meistens nur einen Eingang gibt.

„Man hat keine Möglichkeit zu fliehen, der Feind braucht nur vor dem Eingang ein Feuer machen und man würde sofort darin ersticken“, erklärt Kusch. Die ursprüngliche Funktion der Anlagen gibt also Rätsel auf – und Raum für Mythen, Sagen und die wildesten, kaum vorstellbaren Erklärungsansätze.

„Es ist mit Sicherheit so, dass die Hohlräume immer wieder genutzt wurden. Das macht es so schwierig, die ursprüngliche Verwendung zu ergründen“, sagt der Prähistorische Archäologe und Höhlenforscher Heinrich Kusch, der gemeinsam mit seiner Frau 800 unterirdische Anlagen in der Oststeiermark wiederentdeckt hat.

Als Entstehungszeitraum der Erdställe wird bis jetzt das Früh- bzw. das Hochmittelalter angegeben. Doch die Anlagen könnten viel älter sein und einige seien es nachweislich auch. „Wenn in einem Erdstall etwas gefunden wurde, dann belegt es nicht zwingend den Ent- stehungszeitraum, sondern kann auch später dort hinein gelangt sein“, erklärt der Forscher.

Die ältesten in der Steiermark, die von ihnen datiert werden konnten, sind 10.000 bis 24.000 Jahre alt, aber „auch da könnte es sein, dass sie noch älter sind.“Es sei durchaus möglich, dass es sowohl sehr alte Objekte, als auch wesentlich jüngere Kopien der Bau- werke gibt.

Tore zur Unterwelt

Und so eine Kopie entsteht gerade im Waldviertel in Niederösterreich. Die Gemeinde Thaya richtet gemeinsam mit Gastern (beide im Bezirk Waidhofen/Thaya) ein ErdstallZentrum ein. Dort wird es ab Herbst möglich sein, in einen nachgebauten Erdstall zu kriechen – die- ser wird fünf Meter lang sein und kommt aus dem 3-D-Drucker. „Wir haben in der Gegend viele Erdställe, aber die sind privat oder aus Sicherheitsgründen nicht zugänglich“, erklärt Thayas Bürgermeister Eduard Köck, der sagt, dass Thayas Erdställe gut erforscht seien, aber dennoch Mysterien oen blieben.

In der Region gibt es für die Forscher einiges zu tun. Alleine in dem 45 Häuser zählenden Dorf Ulrichschlag, wenige Kilometer von Thaya entfernt, sind es sieben, die als Tor in die Unterwelt zugänglich sind – einer davon direkt durch den Küchenboden eines alten Bau- ernhauses.

Muß die europäische Vorgeschichte neu geschrieben werden?

Mehr dazu in den Büchern:

Tore zur Unterwelt: Das Geheimnis der unterirdischen Gänge aus uralter Zeit …

Versiegelte Unterwelt: Das Geheimnis der Jahrtausende alten Gänge…

Asiens Unterwelt: Das Jahrtausende alte Erbe unterirdischer Kultstätten. Vom vorderen Orient bis Ostasien

Geheime Unterwelt

Video:

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