
Die Himmelsgöttin Nut war eine der prägendsten Figuren im altägyptischen Glauben. Oftmals über die Decken von Gräbern gespannt und im Inneren von Särgen gemalt, war sie weit mehr als nur ein künstlerisches Motiv. Nut verkörperte den Himmel selbst; ihr gewölbter Körper schützte den Erdgott Geb und bildete eine Brücke zwischen der Welt der Sterblichen und dem Jenseits.
Jüngste Forschungen, die sich auf eine visuelle Besonderheit an einem Sarg der 21. Dynastie konzentrieren, liefern nun neue Erkenntnisse darüber, wie die Ägypter die Milchstraße in ihre Grabkunst einbezogen haben könnten.
Dieses Detail – eine dicke, schwarze, geschwungene Linie, die Nuts Körper auf dem äußeren Sarg der Priesterin Nesitaudjatakhet teilt – stellt möglicherweise die früheste bekannte künstlerische Darstellung der Milchstraße in der ägyptischen Bildkultur dar.
Der fragliche Sarg befindet sich im Archäologischen Museum von Odessa und ist Teil eines größeren Bestattungssets, das 1891 im Bab el-Gasus-Versteck in Deir el-Bahari entdeckt wurde. Dieser umfangreiche Fund umfasste mehr als 200 Särge, die mit der Priesterschaft des Amun während der Dritten Zwischenzeit in Verbindung standen.
In seiner 2025 im „ Journal of Astronomical History and Heritage“ veröffentlichten Arbeit trug Or Graur 555 Sargelemente zusammen und analysierte sie, wobei er sich insbesondere auf 118 kosmologische Darstellungen aus der 21. und 22. Dynastie konzentrierte. Das auffälligste Detail, das er identifizierte, findet sich auf dem Sarg der Nesitaudjatakhet: Eine dicke, geschwungene schwarze Linie verläuft über den Körper der Göttin Nut.
Diese Linie, die die sternenübersäte Figur vom Fuß bis zur Fingerspitze teilt, scheint den Großen Riss nachzubilden, eine dunkle Region, die die Milchstraße teilt, wenn man sie mit bloßem Auge am Nachthimmel sieht.
Anders als die anderen Linien, die Nuts Gliedmaßen umreißen, hebt sich diese schwarze Kurve sowohl farblich als auch in ihrer Position ab. Der Künstler verwendete rotes Pigment für Nuts Konturen und feinere anatomische Unterteilungen. Die schwarze Linie hingegen befindet sich im Zentrum ihrer Gestalt und hat keine erkennbare anatomische Funktion.
Die Sterne auf ihrem Körper sind gleichmäßig ober- und unterhalb dieser schwarzen Linie verteilt. Diese Anordnung ähnelt dem Erscheinungsbild der Milchstraße am dunklen Wüstenhimmel, insbesondere in Regionen Ägyptens fernab der modernen Lichtverschmutzung.
Das visuelle Argument gewinnt an Bedeutung, wenn man es mit anderen bekannten Merkmalen ägyptischer Himmelskunst vergleicht. Obwohl Nut in den meisten der untersuchten Sargvignetten erscheint, zeigt keine andere Darstellung diese schwarze Kurve, die ihren Körper teilt.
Auf anderen Särgen wird Nut oft entweder als nackte, gewölbte Figur mit Sternen oder als bekleidete Schutzgöttin dargestellt. Die Einzigartigkeit der Darstellung von Nesitaudjatakhet bestärkt die Annahme, dass dieses Detail bewusst und mit einer bestimmten Absicht hinzugefügt wurde.
Die Möglichkeit, dass dieses Merkmal die Milchstraße darstellt, deckt sich mit früheren Annahmen, dass Nut Verbindungen zu großräumigen Himmelsstrukturen hatte. Frühere Studien spekulierten über ihre Verbindung zur Milchstraße, konnten dafür aber keine visuellen Beweise finden. Graurs Identifizierung dieser einzelnen Kurve liefert einen materiellen Anker für solche Interpretationen, wobei er jedoch ausdrücklich darauf hinweist, dass Nut und die Milchstraße nicht identisch sind.
Vielmehr könnte die Milchstraße als ein zu Nut gehöriges Merkmal betrachtet worden sein, so wie Sonne, Sterne und Dekane als Teil ihrer Himmelsgestalt galten. Diese Interpretation wird durch Textstellen in den Pyramidentexten und Sargtexten gestützt, in denen Nut eine wichtige Rolle auf der Reise der Verstorbenen spielt.
In einigen dieser Texte wird Nuts Rolle als Behälter, Gefäß und Weg hervorgehoben. Spruch 364 der Pyramidentexte besagt, dass der Verstorbene Nut in ihrem Namen als Sarkophag übergeben, von ihr in ihrem Namen als Sarg umarmt und in ihrem Namen als Grab empfangen wird. In dieser Lesart ist Nut keine symbolische Anspielung auf den Himmel, sondern ein realer Ort, der die Wiedergeburt der Toten birgt. Ihr Körper wird zum Ort der Wiedervereinigung und Erneuerung.
In diesem Deutungsraum gewinnt die schwarze, geschwungene Linie an Bedeutung. Als Teil von Nuts Körper markiert sie möglicherweise nicht nur ein Himmelskörper, sondern auch einen Weg, den die Toten während ihrer Transformation beschreiten.
In der Grabikonographie spiegelt der Übergang von verzierten Gräbern zu verzierten Särgen während der 21. Dynastie den Wandel der Bestattungsbräuche wider. Monumentale Gräber wurden weitgehend durch ineinander geschachtelte, menschenähnliche Särge ersetzt. Die Verlagerung der Darstellungen von der Grabwand auf die Sargoberfläche führte dazu, dass kosmologische Vignetten, die sich zuvor über mehrere Räume erstreckten, nun auf Holztafeln konzentriert wurden.
Diese Veränderung bedingte die selektive Erhaltung wichtiger visueller Elemente, darunter die Darstellung der Göttin Nut, ihrer Begleiter wie Schu und Geb sowie Symbole, die mit dem Lauf der Sonne in Verbindung stehen. Die Einbeziehung der schwarzen Kurve in diesem Kontext deutet darauf hin, dass sie als so wichtig erachtet wurde, dass sie selbst auf dem begrenzten Platz der Sargaußenseiten erhalten blieb.
Weitere Belege für die Bedeutung solcher Kurven finden sich in den astronomischen Deckendarstellungen mehrerer Gräber des Neuen Reiches. Im Grab Sethos’ I. zeigen bemalte Decken den Himmel, der durch eine schwarze, geschwungene Linie mit goldenen Bögen unterteilt ist. Ähnliche Darstellungen finden sich in den Gräbern Ramses’ IV., VI. und IX. Diese Kurven, teils in Gelb oder Schwarz gehalten, markieren stets die visuelle Unterteilung des Himmels in verschiedene Zonen.
Die Wiederholung dieses Motivs in mehreren Gräbern deutet darauf hin, dass die Künstler mit einem Himmelsphänomen vertraut waren, das einer Unterteilung oder Segmentierung bedurfte.
Im Fall von Ramses VI. befinden sich an der Grabdecke zwei große Darstellungen der Göttin Nut, die in entgegengesetzte Richtungen blicken. Zwischen ihnen beschreibt eine Doppelkurve den Weg, den Nut in ihrer Krümmung zurücklegt. Die Position und Form dieser Kurve entsprechen derjenigen auf dem Sarg von Nesitaudjatakhet.
Obwohl die Darstellung an der Grabdecke keine Sterne direkt auf Nuts Körper zeigt, ist die formale Ähnlichkeit unverkennbar. Das wiederholte Auftreten dieser Kurven in Grabkontexten, oft in der Nähe von Darstellungen der Göttin Nut, bestärkt die Annahme, dass diese Merkmale nicht abstrakt, sondern direkt auf Himmelsbeobachtungen beruhen.
Die Gleichsetzung der Milchstraße mit dem Begriff mr-nḫ3 , was so viel wie „gewundener Wasserweg“ oder „sich verschiebender Kanal“ bedeutet, findet weitere Unterstützung in den zugehörigen Pyramidentexten. Mehrere dieser Texte beschreiben, wie der König in einem Boot auf einem gewundenen Wasserweg über den Himmel transportiert wird.
Dieses Bild spiegelt die gewundene Form und die scheinbare Bewegung der Milchstraße am Himmel wider. Der Kerngedanke ist nicht, dass Milchstraße und Nut austauschbar sind, sondern dass die Galaxie Teil von Nuts Körper ist. Sie ist die Umgebung, die alle Himmelsaktivitäten umfasst, und die Milchstraße ist ein sichtbarer Marker in diesem Raum.
Weitere vergleichende Studien untermauern diese Interpretation. Kulturen auf verschiedenen Kontinenten haben die Milchstraße als Himmelspfad oder Brücke für Geister wahrgenommen. Von Darstellungen spiritueller Gestalten mit dunklen Linien auf den Körpern durch die nordamerikanischen Hopi bis hin zum Konzept der Milchstraße als Seelenweg in polynesischen und andinen Traditionen – das Muster, den Himmel als Ort der Toten zu deuten, wiederholt sich in verschiedenen Zivilisationen.
Der Große Grabenbruch, der sich am klaren Wüstenhimmel deutlich abzeichnet, dient als natürliches Merkmal zur Verankerung solcher Glaubensvorstellungen.
Im ägyptischen Kontext beschränkten sich die symbolischen Rollen der Nut nicht auf ihre gewölbte Gestalt. Sie erscheint auch als geflügelte Frau, die den Verstorbenen beschützt, als Baumgeist, der die Seele nährt, und als vollständige Gestalt im Sarg. In all diesen Darstellungen fungiert sie als Übergangsfigur zwischen Tod und Wiedergeburt.
Ihren visuellen Formen entsprechen textliche Rollen: Sie sammelt die Knochen, stellt das Fleisch wieder her und erhebt den Verstorbenen in den Himmel. Diese Handlungen sind keine Metaphern. Sie spiegeln eine strukturierte Theologie wider, in der Nut der Ort der Transformation ist.
Der Sarg von Nesitaudjatakhet bietet einen einzigartigen Moment, in dem Text, Bild und Beobachtung zusammenzufließen scheinen. Die Entscheidung, eine geschwungene schwarze Kurve direkt über Nuts Körper zu zeichnen, eingerahmt von Sternen und getragen von den üblichen Figuren von Geb und Schu, war nicht willkürlich. Es handelte sich um einen bewussten visuellen Akt, der ein am Himmel sichtbares Merkmal in das physische Objekt, das die Toten beherbergen sollte, einprägen sollte. Die Nennung von Neiths Namen über einem der begleitenden geflügelten Uraei verleiht der Komposition zusätzliche Komplexität und Tiefe. Obwohl Nut und Neith unabhängig voneinander entstanden, spielten beide im eschatologischen System sowohl schützende als auch schöpferische Rollen. Ihre gemeinsame Präsenz hier verweist auf eine Schichtung von Traditionen, in der mehrere Göttinnen zum Schutz und zur Auferstehung der Toten beitragen.
Die Seltenheit der schwarzen Kurve unterstreicht ihre Bedeutung. Unter mehr als hundert kosmologischen Darstellungen erscheint dieses Merkmal nur einmal in dieser Form. Ihre Einzigartigkeit deutet entweder auf eine regionale oder zeitliche Besonderheit hin oder auf einen individuellen Auftrag, der auf direkter Himmelsbeobachtung beruht. In jedem Fall liefert sie wichtige Erkenntnisse darüber, wie altägyptische Künstler Himmelsphänomene interpretierten und bewahrten.
Anders als allgemeine Himmelsmotive, die sich ungenau wiederholen lassen, ist diese Kurve spezifisch. Sie ahmt ein Merkmal nach, das unter den richtigen Bedingungen auch heute noch am Himmel sichtbar ist. Daher ist es ein seltener Fall, in dem wir mit Fug und Recht behaupten können, dass ein visuelles Element ägyptischer Grabkunst direkt mit einer astronomischen Struktur korrespondiert, die moderne Beobachter noch immer sehen können.
Der Sarg der Nesitaudjatakhet belegt, dass die Einbeziehung der Himmelsbeobachtung in die Bestattungspraxis nicht auf mathematische Tabellen oder allgemeine Himmelskarten beschränkt war. Vielmehr wurden diese Beobachtungen in die Materialien eingearbeitet, die den Toten begleiteten. Der Himmel war nicht nur über, sondern auch im Inneren des Sarges präsent. Nut war nicht bloß symbolisch. Sie spiegelte wider, was die Schöpfer der letzten Ruhestätten der ägyptischen Elite sahen, erlebten und verstanden.
Die Untersuchung dieses einzigartigen Sarges und der schwarzen Kurve auf Nuts Körper regt zu weiteren Forschungen nach ähnlicher Ikonografie in verschiedenen Medien an. Ob auf Papyri, anderen Sargsets oder weniger erforschten Gräbern – visuelle Muster, die mit astronomischem Wissen in Verbindung stehen, warten möglicherweise noch auf ihre Identifizierung. Derzeit gilt der äußere Sarg von Nesitaudjatakhet als aussichtsreichster Kandidat für eine bewusste, altägyptische Darstellung der Milchstraße – eines Himmelspfades, der in Farbe gemalt und in Holz konserviert wurde.
Fazit: Der Weltraum hat für die Alten Ägypter sehr real existiert, nur die heutigen Internettheoretiker glauben der Weltraum sei eine Erfindung der NASA.
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