Hier soll das Atlantis der Nordsee liegen

Zwischen der Insel Pellworm und der Halbinsel Nordstrand soll das sagenumwobene Rungholt gelegen haben, bevor eine Sturmflut es im Meer begrub. Was ist dran an der Legende?

Das Wattenmeer und das Marschland der nordfriesischen Inseln sind eine magische Landschaft. So tauchen die sogenannten Halligen je nach Laune der Gezeiten aus dem Meer auf oder werden von den Wellen begraben.

Trifft eine Sturmflut die fragilen, kleinen Marschinseln, die nur ganz knapp über dem Meeresspiegel liegen, können sie sogar ganz vernichtet werden oder für immer im Meer versinken. Über eine dieser untergegangenen Halligen gibt es bis heute viele Sagen: die Siedlung Rungholt auf der Insel Strand.

Gab es Rungholt wirklich?

Der Journalist und Historiker Henning Aubel berichtet in seinem Buch „Das Buch der unheimlichen Orte in Deutschland“ im ersten Kapitel über die Sage von Rungholt. Demnach war die Siedlung Mitte des 14. Jahrhunderts eine bedeutende Hafenstadt, die sowohl mit Bremen und Hamburg Handel betrieb als auch mit anderen Ländern.

Ihren Reichtum verdankte Rungholt vor allem dem Abbau und Handel von Torfsalz, damals ein kostbares Gut, mit dem man Fleisch und andere Lebensmittel lang haltbar machen konnte.

Die Existenz von Rungholt ist jedoch nicht nur aus Sagen und Liedern übertragen, sondern auch aus Handelsdokumenten von Hamburger Kaufleuten und anderen historischen Quellen, wie etwa einem Testament. Fest steht, dass es die Stadt zwischen Pellworm und Nordstrand wirklich gegeben hat und dass sie zerstört wurde. Aber warum?

Nach einer Legende von Gott vernichtet

Ähnlich wie in der Atlantis-Legende bei Plato, soll der Reichtum die Bewohner Rungholts verdorben und selbstsüchtig gemacht haben: Aubel berichtet von einer 1666 aufgezeichneten Erzählung, nach der zwei beschwipste Bauern ein Schwein betrunken gemacht hätten.

Danach hätten sie den Priester der Insel gerufen, um dem gequälten Tier die letzte Ölung zu reichen. Als der Priester die beleidigende Bitte verweigert habe, schütteten die Bauern Bier über die Hostien, die Oblaten, die das Brot des letzten Abendmahls repräsentieren. Daraufhin habe der Priester Gott gebeten, die Bewohner Rungholts für ihre Gotteslästerung zu bestrafen.

In Aubels Buch heißt es: „Kaum hatte der Priester sich in Sicherheit gebracht, brach die Sturmflut über Rungholt herein. Seitdem soll die Stadt unversehrt auf dem Meeresgrund stehen. Und noch lange hat man sich erzählt, dass bei windstillem Wetter ihre Kirchenglocken zu hören sein.“

Soweit die Legende. Das Einzige daran, was belegt ist, ist die Jahrhundertflut, die 1362 wohl tatsächlich über die Insel hereinbrach und Rungholt vernichtete. Bis heute nennt man diese Naturkatastrophe, die Tausende Menschen tötete, das „Große Menschenertrinken“. 300 Jahre später sollte eine zweite Springflut die Insel treffen und sie für immer auf den Meeresgrund ziehen.

Die Karte zeigt das Gebiet, in dem Rungholt vermutet wird

Erst 1921 wurde Rungholts Existenz endgültig bewiesen

Nachdem Jahrhunderte lang keine physischen Überreste der Siedlung im Wattenmeer aufgetaucht waren, begannen viele Menschen zu glauben, Rungholt sei eine reine Legende.

Im Jahre 1921 schließlich fand der Heimatforscher Andreas Busch im Watt Spuren der alten Hafenstadt: aufwendig verzierte Keramik-Krüge, Überreste von Häusern und Zisternen. Spektakulär waren auch die Entdeckung von ausländischen Produkten: etwa eine maurische Kanne aus Spanien und skandinavische Keramik.

Diese Zeichen des internationalen Handels beweisen, wie bedeutend Rungholt für seine geringe Größe gewesen sein muss. Einen Teil dieser Funde kann man heute im Rungholt-Museum auf Pellworm und im Nordsee-Museum Husum begutachten. Von der Insel Nordstrand aus werden Wattwanderungen zu dem vermuteten Standort des frühere Rungholt angeboten.

Auch in der Ostsee gab es eine sagenumwobene Handelsstadt

Rungholt ist nicht die einzige sagenumwobene Handelsstadt in deutschen Gewässern. Eine andere berühmte Legende dreht sich um die untergegangene Stadt Vineta in der Ostsee:

Auch sie soll eine reiche, aber moralisch verdorbene Stadt gewesen sein, die von Gott mit einer Sturmflut vernichtet haben soll.

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