Geheimes X-37b führt beim nächsten Flug ein Quanten-GPS-Experiment durch

Das rätselhafte, winzige Raumfahrzeug steht kurz vor dem Aufbruch zu einer weiteren seiner mysteriösen Weltraummissionen.
Samuel Lellouch: Am 21. August 2025 soll ein US-Militärraumflugzeug, das Orbitaltestfahrzeug X-37B, zu seinem achten Flug ins All antreten. Vieles von dem, was das X-37B im Weltraum tut, ist geheim. Aber es dient teilweise als Plattform für hochmoderne Experimente.

Eines dieser Experimente ist eine mögliche Alternative zu GPS, die die Quantenwissenschaft als Navigationsinstrument nutzt: ein Quantenträgheitssensor.

Satellitenbasierte Systeme wie GPS sind in unserem täglichen Leben allgegenwärtig, von Smartphone-Karten bis hin zu Luftfahrt und Logistik. Aber GPS ist nicht überall verfügbar. Diese Technologie könnte die Navigation von Raumfahrzeugen, Flugzeugen, Schiffen und U-Booten in Umgebungen revolutionieren, in denen GPS nicht verfügbar oder beeinträchtigt ist.

Im Weltraum, insbesondere jenseits der Erdumlaufbahn, werden GPS-Signale unzuverlässig oder verschwinden einfach. Dasselbe gilt unter Wasser, wo U-Boote überhaupt nicht auf GPS zugreifen können. Und sogar auf der Erde können GPS-Signale gestört (blockiert), gefälscht (wodurch ein GPS-Empfänger denkt, er sei an einem anderen Ort) oder deaktiviert werden – beispielsweise während eines Konflikts.

  

Das macht die Navigation ohne GPS zu einer kritischen Herausforderung. In solchen Szenarien sind Navigationssysteme, die unabhängig von externen Signalen funktionieren, unerlässlich.

Herkömmliche Trägheitsnavigationssysteme (INS), die Beschleunigungsmesser und Gyroskope verwenden, um die Beschleunigung und Drehung eines Fahrzeugs zu messen, ermöglichen eine unabhängige Navigation, da sie die Position schätzen können, indem sie die Bewegung des Fahrzeugs im Laufe der Zeit verfolgen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit geschlossenen Augen in einem Auto: Sie können immer noch Kurven, Stopps und Beschleunigungen spüren, die Ihr Gehirn integriert, um im Laufe der Zeit zu erraten, wo Sie sich befinden.

Doch irgendwann häufen sich ohne visuelle Hinweise kleine Fehler an und Sie verlieren Ihre Position vollständig. Dasselbe gilt für klassische Trägheitsnavigationssysteme: Wenn sich kleine Messfehler anhäufen, driften sie allmählich vom Kurs ab und müssen per GPS oder anderen externen Signalen korrigiert werden.

Wo Quanten helfen

Wenn Sie an Quantenphysik denken, kommt Ihnen vielleicht eine seltsame Welt in den Sinn, in der sich Teilchen wie Wellen verhalten und Schrödingers Katze gleichzeitig tot und lebendig ist. Diese Gedankenexperimente beschreiben tatsächlich, wie sich winzige Teilchen wie Atome verhalten.

Bei sehr niedrigen Temperaturen gehorchen Atome den Regeln der Quantenmechanik: Sie verhalten sich wie Wellen und können in mehreren Zuständen gleichzeitig existieren – zwei Eigenschaften, die den Kern von Quantenträgheitssensoren bilden.

Der Quantenträgheitssensor an Bord der X-37B verwendet eine Technik namens Atominterferometrie, bei der Atome auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden, sodass sie sich wie Wellen verhalten. Durch fein abgestimmte Laser wird jedes Atom in einen sogenannten Superpositionszustand aufgespalten, ähnlich wie Schrödingers Katze, sodass es sich gleichzeitig auf zwei Pfaden bewegt, die dann wieder zusammengeführt werden.

Da sich das Atom in der Quantenmechanik wie eine Welle verhält, interferieren sich diese beiden Bahnen und erzeugen ein Muster, das den sich überlappenden Wellen auf dem Wasser ähnelt. Dieses Muster enthält detaillierte Informationen darüber, wie die Umgebung des Atoms seine Reise beeinflusst hat. Insbesondere kleinste Bewegungsänderungen, wie Sensordrehungen oder Beschleunigungen, hinterlassen erkennbare Spuren auf diesen atomaren „Wellen“.

 

Im Vergleich zu klassischen Trägheitsnavigationssystemen bieten Quantensensoren eine um Größenordnungen höhere Empfindlichkeit. Da Atome identisch sind und sich im Gegensatz zu mechanischen Komponenten oder Elektronik nicht verändern, sind sie weitaus weniger anfällig für Drift oder Verzerrungen. Das Ergebnis ist eine lang anhaltende und hochpräzise Navigation ohne externe Referenzen.

Die bevorstehende X-37B-Mission wird dieses Niveau der Quanten-Trägheitsnavigation erstmals im Weltraum testen. Frühere Missionen, wie das Cold Atom Laboratory der NASA und MAIUS-1 der Deutschen Raumfahrtagentur, haben Atominterferometer im Orbit oder auf suborbitalen Flügen eingesetzt und die Physik hinter der Atominterferometrie im Weltraum erfolgreich demonstriert, allerdings nicht speziell für Navigationszwecke.

Im Gegensatz dazu ist das X-37B-Experiment als kompakte, leistungsstarke und robuste Trägheitsnavigationseinheit für reale Langzeitmissionen konzipiert. Es führt die Atominterferometrie aus dem Bereich der reinen Wissenschaft in die praktische Anwendung in der Luft- und Raumfahrt. Dies ist ein großer Schritt und

hat wichtige Auswirkungen sowohl auf die militärische als auch auf die zivile Raumfahrt. Für die US Space Force stellt es einen Schritt hin zu größerer operativer Belastbarkeit dar, insbesondere in Szenarien, in denen GPS möglicherweise nicht verfügbar ist. Für zukünftige Weltraumforschungen, beispielsweise zum Mond, zum Mars oder sogar in den Tiefen des Weltraums, wo Autonomie entscheidend ist, könnte ein Quantennavigationssystem nicht nur als zuverlässiges Backup, sondern sogar als primäres System dienen, wenn keine Signale von der Erde verfügbar sind.

Die Quantennavigation ist nur ein Teil der aktuellen, breiteren Welle von Quantentechnologien, die von der Laborforschung in die Praxis übergehen. Während Quantencomputing und Quantenkommunikation oft Schlagzeilen machen, werden Systeme wie Quantenuhren und Quantensensoren wahrscheinlich zuerst breite Anwendung finden.

Länder wie die USA, China und Großbritannien investieren massiv in die Quanten-Trägheitssensorik, wobei jüngste Tests in der Luft und unter Wasser vielversprechend sind. Im Jahr 2024 führten Boeing und AOSense den weltweit ersten Quanten-Trägheitsnavigationstest an Bord eines bemannten Flugzeugs durch.

Dabei wurde eine kontinuierliche GPS-freie Navigation für etwa vier Stunden demonstriert. Im selben Jahr führte Großbritannien seinen ersten öffentlich anerkannten Quantennavigations-Flugtest an Bord eines Verkehrsflugzeugs durch.

Diesen Sommer wird die X-37B-Mission diese Fortschritte ins All bringen. Aufgrund seines militärischen Charakters könnte der Test geheim und unpubliziert bleiben. Sollte er jedoch erfolgreich sein, könnte er als der Moment in Erinnerung bleiben, in dem die Weltraumnavigation einen Quantensprung nach vorne machte.

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